Zwischen Welten wandeln. Andreas Mühe und Titus Schade im Kunstraum Potsdam
Andreas Mühe und Titus Schade sind zwei Künstler mit scharfem Blick. Und einer untrüglichen Präzision in ihrem jeweiligen Medium, der Fotografie respektive Malerei. Ihre Kompositionen sind bedächtig arrangierte, fein gesetzte Bildwelten, die wie die lang tradierte Metapher vom Kunstwerk als Fenster zur Welt erscheinen. Es ist aber kein Ausblick in die unmittelbare Wirklichkeit, der dargeboten werden soll. Vielmehr bestehen Schade und Mühe auf der Künstlichkeit ihrer Welt, besser Welten, ohne aber diesen den Wahrheitsgehalt abzusprechen. Es spannt sich ein Verhältnis zwischen Raum, Mensch und Zeit als nuancierte Wahrnehmung der Welt(en) auf, zwischen Dystopie und Utopie, zwischen Vergangenheit und Zukunft, ohne sich aufzulösen.
Titus Schade kommt vom Raum. Seine Bildwelten zeigen verlassene Gebäudestrukturen und architektonische Gebilde. Sie ähneln bekannten Hausformen – typisch sind zum Beispiel Fachwerk-Elemente – und doch sind sie mal ungewöhnlich schmal und lang oder haben einen futuristisch wirkenden Bauteil, der sich nicht einordnen lässt. Seiner Technik ist eine markante, fast schon hyperrealistische Malweise mit Wiedererkennungswert eigen. Der Pinselstrich verschwindet und erinnert in seiner Präzision an die Blütezeit flämischer Malerei genauso wie an digitale Computer-Renderings. Oftmals erscheinen die Bildwerke wie Modelle oder Miniaturen. In Drei Fachwerkhäuser, 2012, oder Die Eisenstadt, 2014, beispielsweise ist dies offensichtlich, wenn die Häuserfassaden nur Attrappen sind und im luftleeren Raum schweben. Dass Schade auf diese Entwürfe wie auf eine immer wieder neu kombinierbare Sammlung von Bauteilen zurückgreift, lässt die Arbeit Das Regal, 2011, erahnen. Hier sind 14 Bildmodule – von Einzelhaus, Industriebau bis Platte – feinsäuberlich in ein Regal eingeräumt, das die gesamte Bildfläche einnimmt. Einige Fächer sind noch frei. Was sich durch alle Haus- und Baulandschaften zieht, ist, sie sind menschenleer. Menschenleer im wahrsten Sinne, denn die Leerstelle ist merklich sichtbar. Den Bildern wohnt eine eigenartig verlassene Atmosphäre inne, die Rätsel aufgibt. Ein paar wenige Bilder mit Menschen von Schade gibt es in der Ausstellung – aber auch nur als gemalte Abbildnisse im Bild. Selbst hier sind Menschen nur indirekt präsent. Ein symbolischer Platzhalter für Menschen/Leben scheinen indes die brennenden kleinen Kerzen und Lagerfeuer zu sein, die zuweilen motivisch auftauchen. Sie stehen ohne direkte Relation zum restlichen Bildinhalt, wie ein leiser Hinweis: Da regt sich was. Da brennt noch was. Da ist noch was.
Andreas Mühe kommt vom Menschen. Im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit steht der Mensch und das menschliche Handeln, im Guten wie Schlechten. Dabei konstruiert Mühe seine fotografischen Bildwerke genauso präzise wie Schade seine Architekturen. Die Orte, die Mühe zeigt, sind von Menschen gemacht und geprägt. Ihre Identität ist verknüpft mit unmittelbarer Zeitgeschichte und der Frage, wo sich Macht und Politik an Orten manifestieren lässt. Ohne dass die Themen offensichtlich benannt werden – denn ihre Bedeutung ragt über den einen Moment hinaus – evozieren die bühnenartig komponierten Bilder eine unbehagliche Ahnung. In der Serie Wandlitz, 2011, zeigt Mühe eine Reihe unauffälliger, sich stark ähnelnder Häuser. Wie Abziehbilder geben die flachen Fassaden nichts von ihrem Inhalt preis. Es sind die ehemaligen Wohnhäuser der DDR Staatsspitze – einem Staat, der von Utopie träumte und in Dystopie kippte.
In der Serie Biorobots II, 2021, bezieht sich Mühe auf jene Gruppe von (hauptsächlich) Männern, die nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zum „Aufräumen“ dorthin geschickt wurden. Ihre – heute wie aus einem schlechten Sci-Fi Film wirkende – Schutzkleidung übernimmt Mühe originalgetreu. Die Figuren transferiert er allerdings an einen undefinierten Ort inmitten einer unwirklichen Landschaft von Betonbauten. Ist das der Ausblick in eine Welt nach der Katastrophe?
Die Serie Weihnachtsbäume, 2016, zeigt 38 (das Alter des Künstlers im Entstehungsjahr) geschmückte Weihnachtsbäume, jedoch ohne die obligate, fröhliche Familiengruppe. Jeder Baum ist unterschiedlich dekoriert, sichtlich von Geschmack und Möglichkeiten seiner Entstehungszeit gezeichnet. Wie Versatzstücke wirken die Bäume in der Gruppe inventarisiert. Gleichzeitig sind sie höchst personalisiert, denn sie repräsentieren die 38 Weihnachten aus dem Leben des Künstlers. Als Stellvertreter für Erinnerung und Innehalten versinnbildlichen sie Lebensjahre in all ihren Facetten.
In der Ausstellung nehmen die Bäume einen schönen, weniger offensichtlichen Dialog mit Schade’s Bildern auf. Denn auch darin finden sich einzelne Bäume, vor allem in Das Regal, die wie Versatzstücke zum Aufstellen bereitstehen. Mühe und Schade beherrschen die Komposition von Bild und Raum meisterlich. Ihre Bildwelten erzählen Geschichten, deren Narrative frei künstlerisch sind und doch viel über unsere Zeit aussagen. Offen und anregend ist, ob es sich um Vergangenheitsaufnahmen oder Zukunftsszenarien handelt.
Da sprechen zwei, die in utopischen Welten wandeln, um etwas von der Vergangenheit zu erzählen. Da sprechen zwei, die in utopischen Welten wandeln, um etwas von der Zukunft zu erzählen.
Dr. Kristina Schrei