TÄTERANSICHT STATT TÄTERSICHT
von Andreas Platthaus (FAZ, 13.09.2024)
Totenmasken sind seit der Neuzeit keine idealisierenden Darstellungen mehr, sondern auf Dauer gestellte Abgüsse der Vergänglichkeit. Selbst der berühmtesten Toten. Oder der berüchtigtsten wie etwa der am 18. Oktober 1977 im Gefängnis von Stammheim gestorbenen RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Ensslins Vater hatte erbeten, dass man ihnen Totenmasken abnahm; und 45 Jahre später wurden die dem Berliner Fotografen Andreas Mühe als Motive angeboten. Warum Mühe? Der hat etwa 2019 seinen toten Vater, den Schauspieler Ulrich Mühe, als fotografierten Bronzeabguss der Totenmaske für das Kunstprojekt „Familienaufstellung" wiedererstehen lassen, und zwei Jahre später belebte er einen toten Ort neu, als er ein Double von Angela Merkel im leer stehenden Bonner Kanzlerbungalow ablichtete (F.A.Z. vom 10. Juli 2021).
Kurz danach erreichte Mühe das Angebot, die RAF-Totenmasken zu fotografieren. „Doch was hatte ich als 1979 in Karl-Marx-Stadt Geborener mit der RAF zu tun? Das war. doch Dunkeldeutschland West."
Mühe steht im Gebäude der Galerie Bastian in Berlin-Dahlem, ringsum hängen nun Bilder, die auf die Konfrontation mit den RAF-Totenmasken zurückgehen.
Wie das? „Der Mann, der mir die Masken anbot, hatte auch Rosemarie Trockel kontaktiert. Als sie mir sagte, dass sie überlege, etwas mit den Masken zu machen, entschied ich mich schnell selbst dafür. Aber ich hatte die Idee, dass ich damit eine andere Geschichte erzählen würde als die der RAF. Und so kam ein Terror dazu, der mich generationell und herkunftsbedingt angeht.Die Morde des NSU."
Mühe ließ auf der Grundlage von Fotos der Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe deren Gesichtsmasken von einer englischen Werkstatt anfertigen - auch die weiß und mit geschlossenen Augen. Alle sechs fotografierte er dann mit seiner Plattenkamera und ließ die Bilder fast eineinhalb Meter groß abziehen. Derzeit ist diese Serie in Leipzig zu sehen, in der Kunsthalle Techne Sphere, und ergänzt werden die sechs Fotos durch zwei kleinere von Neugeborenenbetten, wie sie 1945 im Dritten Reich und 1975 in der DDR benutzt wurden - jenen Zeiten, in denen die beiden Terroristen- generationen zur Welt kamen. Es ist beklemmend wie die Gitter des älteren Bettchens die Inhaftierung der RAF-Mitglieder evozieren, und am DDR-Babybett ist ein Zettel angebracht, auf dem winzig der Name von Beate Zschäpe zu lesen ist - der Einzigen der sechs, die noch lebt.
„RAFNSU" nennt Mühe diese im vergangenen Jahr erstellte Werkgruppe, und aus ihr ist im März dieses Jahres ein weiterer Komplex erwachsen, der jetzt in der Galerie Bastian zu sehen ist: „Freitag, den 13.", benannt nach dem Eröffnungsdatum der Ausstellung, aufgeladen mit allen Assoziationen eines Unglückstags. Mühe benutzte seine Totenmasken dafür weiter:
Er ließ sie von Statisten tragen, die er so in zwei eigens errichteten Kulissen fotografierte, die RAF-Totenmasken in einem Nachbau der Stammheimer Zelle von Andreas Baader, die der NSU im simulierten Setting jenes Jenaer Jugendklubs, in dem sich das Trio zusammenfand.
„Das ist eine mir aus der eigenen Jugend vertraute Szenerie, denn diese Klubs waren auch noch nach der Wende wichtig. Beide Räume aber sind für mich Werkzeuge der jeweiligen Systeme: fürs erzwungene Zeit- absitzen“ Die Buchstabenfolge „RAFNSU" könnte noch um „BRDDDR" erweitert werden.
Auf die ursprünglichen Nahaufnahmen folgte die Ausweitung auf Kulissen im Studio, das immer wieder sichtbar wird auf Mühes Fotos.
Dabei setzte er anders als Thomas Demand nicht auf genauen Nachbau der Ereignisorte, sondern veränderte sie in kaum merklichem Maße: Die Fenster von Baaders Zelle etwa sind bei ihm höher angebracht, die Sanitärgarnituren um ein Winziges vergrößert, sodass der Raspe-Darsteller auf einem Foto, das ihn kauernd zwischen Kloschüssel und Waschbecken zeigt, wirkt wie eine zu klein geratene Figur in einem Puppenhaus. Die Masken tun ein Übriges, den Bildern jegliche Möglichkeit zur Identifikation auszutreiben.
Vorbild war Mühe dafür Luc Tuymans' Gemälde „Architekt", das den im Schnee gestürzten Albert Speer nach einem historischen Foto zeigt - mit flächig geweißtem Gesicht.
Die Geschichte der künstlerischen Auseinandersetzung mit RAF oder NSU ist lang; am berühmtesten ist Gerhard Richters Stammheim-Zyklus, aber auch die Arbeit der Aktionskünstlergruppe Foren-sic Architecture zum Nachvollzug der NSU-Morde hat große Aufmerksamkeit gefunden - von den zahlreichen literarischen Auseinandersetzungen ganz abgesehen. Das waren abstrahierende Arbeiten. Mühes Ansatz ist ein anderer.
Er konfrontiert das Publikum unmittelbar mit Menschen und Orten, die wir lieber vergessen würden. Und er zeigt die Akteure als vom Tode Maskierte - veritable Wiedergänger. Täteransicht statt Tätersicht.
Ergänzt hat Mühe seine wieder mit der Plattenkamera erstellten Großaufnahmen mit kleinformatigen quadratischen Fotos aus einer Hasselblad, auf denen er einmal scheinbar wahllos Details aus den verschiedenen Kulissen von Zelle und Jugendklub festhielt: insgesamt 45 Bilder, die in drei Reihen übereinander wie ein Storyboard wirken, das zwei disparate Geschehnisse miteinander verschränkt.
Und dann ist da noch eine konzeptuell ganz anders geartete Serie von 24 Fotografien, für die sich Mühe auf die Spur von Zschäpes beiden Katzen gemacht hat, die die Terroristin vor dem Abfackeln ihrer Wohnung bei einer Nachbarin abgab. Von dort kamen sie ins Tierheim. Mühe suchte alle noch ermittelbaren damals vermittelten Tiere auf, um sie vor grauem Samt abzulichten. Ob Zschäpes Katzen nach dreizehn Jahren noch dabei waren? Es ist so offen wie fast alles in der Unheilsgeschichte des NSU.
Mühe steht in der Galerie, einem White-Cube-Raum mit hohen Fenstern, die sich zu einem baumbestandenen Grünstreifen an der Clayallee öffnen. Eines ist halb verhängt mit einem Vorhang. Daneben hängt das Triptychon „Letzter Vorhang", das die Statistin mit der Ensslin-Maske vor einem mit einem braunen Bettdecke der Haftanstalt verdeckten Zellenfenster zeigt. Ensslin wurde erhängt an einem Fensterkreuz aufgefunden, ihrer Totenmaske sieht man den Todeskampf an - die Leipziger Nahaufnahme tut verstörende Wirkung. Im Berliner Triptychon verbirgt der Vorhang im letzten Foto die Sterbende. Mühe hat sie nicht zu Tode fotografiert. Sein Zyklus dürfte weite Kreise ziehen.