GOLDEN AMERICAN

Galerie Anita Beckers, Frankfurt
29.03. — 10.05.2025

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Andreas Mühe, NSU Jugendklub Jena II, aus der Serie RAFNSU, 2024

Wiedergänger - Die Toten mahnen uns

Seit Eisen und Blut das Deutsche Reich schmiedete und nach zwei Weltkriegen die Gefallenen in Stein gemeißelt oder in Metall gegossen als stumme Zeugen uns mahnten, dass ihr Tod doch einen Sinn haben möge, begleiten sie mich und ganz besonders diese Inschrift. Die Toten mahnen. Und noch besser: Die Toten mahnen uns. Jedes Dorf hat sein Kriegerdenkmal, die Tafeln mit den aufgelisteten Gefallenen sah man in den Kirchen und jedes Ehrenmal für den Widerstand stieß mich in ein Totenreich.
„Ich war, ich bin, ich werde sein.“ sollte 1926 das Revolutionsdenkmal von Mies van der Rohe für den Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin als Schriftzug schmücken. Der Ausspruch stammt von Rosa Luxemburg vom 14. Januar 1919, wenige Tage vor ihrer Ermordung. Sie meinte nicht sich damit, sondern die Revolution an sich. Das Denkmal wurde von den Nazis abgerissen, 1946 erinnerte kurz eine Nachbildung auf dem noch vorhandenen Fundament an das Revolutionsdenkmal von Mies van der Rohe, die aber die Qualität seines Entwurfs nur in den äußeren Maßen abbildet.
Bereits 1951 wurde der Friedhof in „Gedenkstätte der Sozialisten“ umgewidmet und jetzt mahnen uns die Toten auch dort: Ein riesiger Porphyrstein trägt diese unantastbare Inschrift.

In Gerhard Richter Zyklus „18. Oktober 1977“ wird ein vermeintlicher Schlusspunkt der künstlerischen Auseinandersetzung mit der RAF in der BRD gesehen. Die Mitglieder der RAF werden endgültig von ihm zu Grabe getragen, denn er hat es geschafft, die Terroristen als die Opfer ihrer eigenen Ideologie darzustellen. Als ich 2023 zur Feier 175 Jahre Deutsche Nationalversammlung die Einladung erhielt in dieser Galerie auszustellen, holte ich die Verstorbenen wieder aus dem Grab.
Richters Vermalen von Fotografien, sein Verwischen als „Annäherung durch Distanzierung“, sein Arbeitsprozess als permanente Erfahrung von „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ sind mit meinen eigenen Verfahren vergleichbar. Die Dialektik seines und meines Verfahrens ähnelt sich. Meine inszenierten Fotografien sind wie seine Bilder: auch Historienmalerei, ungebetene Erinnerungen und ästhetischer Terrorismus.
Bis heute werden deutsche Geschichte und Geschichten geteilt erlebt, geteilt dargestellt und geschrieben. Der geteilte Raum und nicht die gemeinsam geteilte Zeit, belässt uns in einer geistigen Obdachlosigkeit, einer zunehmenden Verwahrlosung, die uns am Denken hindert.
Vor zwei Jahren konnten die Besucher die Totenmasken der Serie RAFNSU schwer zuordnen.
Ich beschloss darauf, sie weiter auszugraben und schickte die von der RAF in den Knast von Stammheim und die von der NSU in ihren Jugendklub. Beide Orte sind subventionierte, staatliche Räume, in denen man auf Staatskosten viel Zeit verbringt, absitzt und totschlägt. Ich wollte für beide Terrorgruppen identische Räume schaffen, obwohl ihre Strategien unterschiedlicher nicht sein könnten. Die RAF rückt ihre Morde ins Licht der Öffentlichkeit. Die NSU mordet unerkannt im Dunklen. Beide Gruppen morden aus politischer Überzeugung. Sie zusammenzufassen, mag für manchen Betrachter befremdlich sein, aber die gemeinsame Vergangenheit und die vertane Chance ab 1990, vereint, die Diktaturen zweier deutscher Staaten endlich aufzuarbeiten, bringt mich dazu.

Andreas Mühe
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