Im groß angelegten Werkzyklus „Mischpoche,“ 2017—2019, vereint der Künstler Andreas Mühe persönliche Geschichte, soziale und gesellschaftliche Verhältnisse sowie künstlerische Tradition zum Portrait einer Familie, seiner Familie, dem Zeit- wie Kunstgeschichte tief eingeschrieben sind. Im Zentrum stehen zwei Familienportraits, die die lebenden wie bereits verstorbenen Mitglieder seiner Familie, mütter- und väterlicherseits, abbilden. Von Fotovorlagen ausgehend, hat er die Toten
in einem komplexen Produktionsprozess als lebensechte Figuren nachbilden lassen und eine fotografische Realität erzeugt, die es in Wirklichkeit nie gab. In ihrer Eigenschaft, Referenz für Realität und Vergangenheit zu sein, zeichnet sich die Fotografie gegenüber anderen Kunstgattungen besonders aus. Überdeutlich führt Mühe diese ambivalente Bedeutung des Mediums zwischen Wahrheit und Konstruktion vor. Im vergangenen Jahr zeigte er Teile aus „Mischpoche“ bereits in einer musealen Einzelausstellung im Hamburger Bahnhof — Museum für Gegenwart — Berlin, die die innerfamiliären Verflechtungen in Anbetracht zeithistorischer Erfahrungen einer ganzen Generation thematisierten.
In der Elektrohalle Rhomberg, Salzburg, werden erstmals Arbeiten aus dem Zyklus gezeigt, die Fotografie in ihrer plastischen Qualität abbildet. Der lange und komplexe Produktionsprozess von Fotografie zu Figur, an dessen Ende wieder eine Fotografie steht, ist nämlich auch eine Abhandlung über Fotografie als Skulptur. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit Körperlichkeit und das Zusammenbringen von Form und Figur in einer bildlichen Inszenierung. Körper werden bildhauerisch bearbeitet und in Konstellationen zueinander ins Verhältnis gebracht. Wie auf einer Bühne leuchtet Andreas Mühe sie in einer ihm eigenen, spezifischen Lichtinszenierung aus, die ihre Künstlichkeit widerspiegelt und gleichzeitig so nahbar und menschlich, fast greifbar, macht.
Mühe II
aus der Serie: Mischpoche, 2016—2019
Der Verweis auf das Menschliche im Angesicht der gro en Inszenierung des Lebens ist in der Theaterstadt Salzburg und zum 100-jährigen Jubil um der Salzburger Festspiele freilich eine ganz bewusst gesetzte Referenz. Der Titel der Ausstellung — „Ich kenn Dich auch vom Ansehen nicht“ — ist ein Zitat aus dem berühmten „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Darüber hinaus gibt es auch noch einen ganz persönlichen Bezug zu Salzburgs langer Kulturtradition. Andreas Mühes Vater, Ulrich Mühe, und dessen dritte Frau Susanne Lothar, beides begnadete Schauspieler, haben in Salzburgs berühmtesten Stück über Leben und Tod mitgespielt.
Andreas Mühe saß schon in jungen Jahren im Publikum. Seine künstlerische Nähe zu Bühne, Schauspiel und Film erschließt sich auch daraus. Mühes künstlerische Arbeiten spannen ein Feld vom Persönlichen zum Allgemeinen und vom Familiären zur Figuration, das die vermeintlich verschiedenen Sprachen von Fotografie, Inszenierung und Skulptur zu einer mehrfach und mehrdeutig aufgeladenen Bildgewalt zusammenfügt, die in ihrer Kulmination eine unglaubliche, manchmal fast unheimliche Sogkraft erzeugen.
Etagenwagen II
aus der Serie: Mischpoche, 2016—2019
Etagenwagen III
aus der Serie: Mischpoche, 2016—2019
Etagenwagen V
aus der Serie: Mischpoche, 2016—2019